Silvester (89/90)


So, nich mehr lange, und die Drecksachtziger sind vorbei, nä. Ich mein, mir is das egal, ich komm auch ohne aus. Viel war ja sowieso nich los: Zum Heiraten bin ich wieder nichgekommen, die Hormone sind ja alle in die Kälbers reingegangen. Un Intimspray darfse auch nich mehr benutzen, weil da nen Loch in Himmel von kommt. Ich mein, wie soll unsereins da nachn Güllefahn noch inne Disco was kennenlernen? Is ja sowieso vorbei, weil die Achtziger ja das Aidsjahrzehnt waren. Und die größte Risikogruppe, das sind die Katholiken, weil die ja von Papst nen verschärftes Gummiverbot gekriegt ham. Wahnsinn, wa? 800 Millionen Gefährdete.

Ansonsten is immer dasselbe gelieben, die Drecksumwelt sieht immer vergammelter aus. Pflegt sich überhaupt nich mehr, dem Schwarzwald falln die Haare aus, der Nordsee läuft die Galle über. Waldsterben, Robbensterben, und das alles zur besten Sendezeit, da sollte man als arbeitender Mensch, der am andern Morgen früh raus muß, nich sauer werden. Und dann hat in den Achtzigen der Russe auch noch mal eben die große Mikrowelle angemacht in Tschernobyl, abers wir ham uns gerächt und einen unerschrockenen Piloten direkt aufn Roten Platz geschickt, der sollte da eigentlich eine Atombombe hochgehen lassen, als er abers hinter seinen Sitz guckt, merkt er, er hat das verdammte Ding zu Hause in Wedel liegenlassen. Wat nu! Er faselt sich da spontan sonen Quatsch von Friedensmission her, was sollte er auch machen, ohne Bombe. Jenfalls hat das den Jung so fertiggemacht, daß er mittlerweile verrückt geworn is un mit Messer auf Krankenschwestern losgeht. Der annere, der ihn dazu angestiftet hat, is auch dabei draufgegangen — ne Überdosis Fichtennadelschaumbad in ein Genfer Hotel.

Abers eigentlich war das ja auch Quatsch, ne Atombome aufn Roten Platz zu schmeißen, wo der neue Russe doch total zahm is, mal abgesehen von der Sache mit der Mikrowelle, die zehntausend Rentieren das Leben gekostet hat. Insgesamt warn die Achtziger ne ziemlich nervige Angelegenheit. Wenn ich nich meine Meditationsübungen mit mein Güllefaß gemacht hätte, ich wär verrückt geworn. Ich sach immer: Vor der Gülle is jeder gleich, ob arm, ob reich. Der einzige Trost in diesen Jahrzehnt war für unsereins ja das Fernsehgerät, da guck ich ja öfters mal rein. Da ham die inne letzten paar Wochen mit eine assreine Serie angefangen, unheimlich echt produziert un so. Also, die Handlung is so: Die tun da so, als ob Honecker abgesetzt worn war, un alles geht drunter un drüber inne Zone. Weissu, keine Mauer mehr, un alle dürfen ausreisen un all son Quatsch. Ich sag dir, die ham da mit echten Trabis gedreht. Tausende von Statisten müssen die da engagiert ham, un die Berliner Mauer hamse auch in Köln-Bocklemünd oder so direkt neben ne Lindenstraße naturgetreu aufgebaut, mitn Brandenburger Tor als Fototapete dahinter. Is total spannend! Im Augenblick is der Nachfolger von Honecker auch schon wieder abgesetzt — ich mein, da sieht mans doch, dasses Fernsehen is. Jenfalls muß die Serie so teuer gewesen sein, daß anfallen Programmen, auch bei die Privaten, einzelne Folgen laufen. Du, das is echt spannend, ich mein, ich weiß nich, ob du diese Serie kenns, abers kann ich nur empfehlen. Ich sag, es passiert einfach nichts - wenn ich kein Fernsehgerät hätt, wüßt ich echt nich, was ich den ganzen Tach machen sollte. Insofern bin ich auch echt froh, daß nu mal nen neuet Jahrzehnt anfängt.


Autor: Dietmar Wischmeyer / FRÜHSTYXRADIO